Prolog

Buch: Gedichte - Zweites Buch
Sammlung: Vermischte Gedichte II

Der Winter stand ein eiserner Tyrann,
Nie lösend seine Faust, die festgeballte,
Die eisig sich um Berg' und Thäler krallte;
Ihr Leben lag erstarrt in seinem Bann.
Als frostbedeckt die Berg' und Thale ruhten,
Gesellig drängte doch das Menschenleben
In Lust und Spiel zusammen seine Gluten,
Ließ Freudenfeste über'm Tode schweben.

Zum Tanz berauschend sangen helle Geigen,
Die schöne Jugend drehte sich im Neigen,
Nicht denkend an ein Scheiden und Vergehen,
Sorglos, wie sich die Stern' am Himmel drehen.
Und über's blanke Feld des Eises glitten
Mit Geißelknall und Schellenklang'die Schlitten.
So war es jüngst noch im Magyarenlande,
Am segenüberhäuften Donaustrande.
Wer hätte wohl in so beglückten Stunden
Den Donnerschlag des Unglücks vorempfunden?
Wer hörte damals in den Schlittenschellen
Prophetisch grause Todtenglöcklein gellen?
Kein Tänzer ahnte dort beim Taumelfeste
Im Wasfersturme tanzende Paläste.
Die Iubeltage waren bald verflogen,
Die Freude senkte die erregten Wogen,
Die Zeit des holden Frühlings war gekommen,
Die alle Herzen spüren, süß beklommen,
Die Zeit, wo aus dem Eis die Knospen springen
Und hell vom Liebesfest die Wälder klingen.
O Frühling, alle Herzen harrten dein,
Auf deine Lieder, deinen Sonnenschein:
Wie schrecklich aber täuschtest du ihr Hoffen,
Mit welchen Liedern hast du sie getroffen!
Sturmläuten, Iammerruf und Hülfeschreien,
Und Flutendonner, schlagend an die Wände,
Sind diesmal, Frühling, deine Melodeien:
Und deine Blumen sind gerungne Hände,
Und rings verzweiflungsblasse Angesichter;
Diesmal bist du gekommen als Nernichter!
Danubius, der starke Riese, hat

Schon längst gebuhlt um diese schöne Stadt'.
Der Riese hat an hellen Sommertagen
Auf seiner breiten Brust ihr Bild getragen,
Er trug ihr Bild, gefaßt in Strahlenflimmer;
Wie hat es doch so bang gezittert immer!
Zu Winter hielt er einen festen Schlaf,
Bis weckend ihn der Hauch des Frühlings traf.
Urplötzlich ward vom Schlaf Danubius munter,
Er springt nach seiner Braut mit offnen Armen,
Sie jammert auf, er faßt sie ohn' Erbarmen,
Und reißt sie jauchzend in sein Bett hinunter.
Er brachte ihr, als reiche Morgengabe,
Die wüsten Trümmer mit von manchem Grabe:
Waldstämme, Dächer und zerriss'ne Mühlen
Ließ er heran zu ihren Füßen spülen,
Und Leichen rollt er, frische, längstversenkte,
Die nun die Flut aus ihren Grüften drängte.
Die Welle, die vordem so mild und zahm
Als treue Magd in's Haus des Menschen kam,
Die noch im Herbst als Müllerin geschaltet.
Hat jetzt sich zur Hyäne umgestaltet,
Sie wühlt hervor, was alte Gräber bergen,
Und treibt heran die Wiegen mit den Särgen.
Durch alle Schranken stürzen sich die Fluten,
Sie steigen immer höher an die Wände,
Und unaufhaltsam sieht der Mensch sein Ende,
Wie seine Jahre schrumpfen zu Minuten.
Dort auf die Dächer klettern die Bedrohten:
So sammeln sich die Schwalben auf den Dächern,
Enteilend ihren gastlichen Gemächern,
Wenn über's Meer der Süden sich entboten.

Es werden diese angstgetriebnen Seelen,
Den Schwalben gleich, des Weges nicht verfehlen,
Sie flüchten in die Heimath über's Meer,
Von wannen aber keine Wiederkehr,
Ein Schrei, ein Krach - und alles ist verschwunden
Nun todesstill - nie wird die Spur gefunden.
Im Element verschwunden ohne Spur
Ist hier der Menschen Werk und all ihr Glück,
Als träumte wieder einmal die Natur
In ihre wilde Jugend sich zurück.
Fort ist die Stadt, die blühend sich geregt,
Als hätte dürres Laub der Sturm verfegt;
Die alten Steppen werden aufgefrischt,
Wo eines edlen Volkes Freude stand,
Als eine leere Tafel blieb das Land,
Des Volkes Rechnung ist hinweggewischt
Und weinend wandeln auf der wüsten Haide,
Dem stillen Grab von so viel Glück und Leide,
Das Elend und der Kummer, eng verschlungen,
Und spät verblutende Erinnerungen.
Hier lernt das Herz erträumten Schmerz vergessen,
Hat ihm ein Hauch des Schicksals weh gethan:
Wir lernen unsern kummervollen Wahn
An dem furchtbar gediegnen Unglück messen.
O haltet euer Herz an die gekettet,
Die aus dem Sturm als Bettler sich gerettet!
O gebt mit sanftem Wort und weichen Händen
Dem Kummer Trost, dem Elend eure Spenden!
Das ist ein böser Frühling für die Armen,
Und unersetzlich ist, was er genommen;
Doch eure Liebe wird dem Unglück frommen,

Denn Balsam jeder Wunde ist Erbarmen.
Die milden Gaben, eure Liebesboten,
Sie heilen nicht die unheilbaren Schäden,
Und nicht erwecken können sie die Todten:
Doch können sie den großen Schmerz bereden,
Daß er sich allgemach zur Wehmuth mildre,
Und daß er zur Verzweiflung nicht verwildre.
Die Armen schauen mit verweinten Blicken,
Gerührt, auf ihrem Schutt des Mitleids Blüthe;
Der Herzenshauch von euch wird sie erquicken:
Der schönste Frühling ist die Herzensgüte!

??  in  einem Concerte  zu Unterstützung  der  in  Ungarn  durch
Ueberschwemmung Verunglückten.

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