An eine Witwe

Buch: Gedichte - Zweites Buch
Sammlung: Vermischte Gedichte II

Nach einem heftigen Gewitter
Wandl' ich allein im tiefen Haine,
Und blicke durch das nasse Gitter
Der Blätter auf zum Sternenscheine.

Die sturmesmüden Bäume schweigen-
Nur manchmal rauschen Windeshauche,
Wie eine Mahnung in den Zweigen,
Dann tropft es nach im dunkeln Strauche.

So fand ich, nach den Schmerzgewittern,
Dich müd versenkt im stillen Grame;
Doch sah ich deine Thränen zittern,
Wenn dir erklang sein theurer Name.

Der Frühling kam, vor seinem Strahle
Suchst du des Schmerzes traute Schatten,
Und führest nach dem fernen Thale
Die Kinder an das Grab des Gatten.

Du wanderst mit den Vaterlosen,
Mit Thränen neu das Grab zu tränken,
Auf das du deiner Wangen Rosen
Gestreut Zum treuen Angedenken.

O bring' zum Grabe deines Lieben
Von mir auch einen Gruß, und sage,
Daß auch mein Herz ihm treu geblieben,
Bring' ihm des Jugendfreundes Klage.

Wenn aus dem Aug' dir Thränen brechen,
Möcht' ich am Grabe dich begrüßen,
Mit dir von seiner Jugend sprechen,
Und möchte seine Kinder küssen.

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