Die Poesie und ihre Stoerer

Buch: Gedichte - Zweites Buch
Sammlung: Vermischte Gedichte II

Im tiefen Walde ging die Poesie
Die Pfade heil'ger Abgeschiedenheit,
Da bricht ein lauter Schwärm herein und schreit
Der Selbftversunknen zu: "Was suchst du hie?
Laß doch die Blumen blühn, die Bäume rauschen,
Und schwärme nicht unpraktisch weiche Klage,
Denn mannhaft wehrhaft sind nunmehr die Tage,
Du wirst dem Wald kein wirksam Lied enttäuschen.
Komm, komm mit uns, verding' uns deine Kräfte;
Wir wollen reich dir jeden Schritt bezahlen
Mit blankgemünztem Lobe in Journalen ^
Heb' dich zum weltbeglückenden Geschäfte! -
Laß nicht dein Herz in Einsamkeit verdumpfen,
Erwach' aus Träumen, werde social,
Weih' dich dem Thatendrange zum Gemahl;
Zur alten Jungfer wirst du sonst verschrumpfen!"
Die Poesie dem Schwärm antwortend spricht:

"Laßt mich! verdächtig ist mir euer Streben;
Befreien wollt ihr das gejochte Leben,
Und gönnt sogar der Kunst die Freiheit nicht?
Euch sank zu tief in's Aug' die Nebelkappe,
Wenn euer Blick nicht straßenüber sieht,
Und wenn ihr heischt vom freigebornen Lied,
Daß es dienstbar nur eure Gleise tappe.
Ein Blumenantlitz hat noch nie gelogen,
Und sichrer blüht es mir in's Herz die Kunde,
Daß heilen wird der Menschheit tiefe Wunde,
Als euer wirres Antlitz, wuthverzogen.
Prophetisch rauscht der Wald: die Welt wird frei!
Er rauscht es lauter mir als eure Blätter,
Mit all dem seelenvollen Wortgeschmetter,
Mit all der matten Eisenfresserei.
Wenn mir's beliebt, werd' ich hier Blumen pflücken;
Wenn mir's beliebt, werd' ich von Freiheit singen;
Doch nimmermehr lass ich von euch mich dingen!"
Sie spricht's und kehrt dem rohen Schwärm den Rücken.

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