An eine Freundin

Buch: Gedichte - Zweites Buch
Sammlung: Vermischte Gedichte II

Dichterherzen können segnen
Wen sie lieben: fremd und rauh
Meinem Herzen zu begegnen
Hüte dich, du schöne Frau.

Eine Sage läßt dich grüßen,
So ich im Gebirg vernahm,
Als ich einst, vor Wettergüssen
Flüchtend, in ein Hüttlein kam:

In den tiefsten Einsamkeiten,
Zwischen Felsen, ruht ein See:
Dem entstieg ein Geist vor Zeiten,
Kam den Menschen in die Näh'.

Kam in's Dorf, erschien beim Feste,
Brachte Segen in das Haus,
Und es blickten Wirth und Gäste
Oft gar sehnlich nach ihm aus.

Plötzlich stand er unter ihnen,
Trug ein dunkles Mönchsgewand!
Und der Mann mit ernsten Mienen
Freud' an ihrer Freude fand.

Gerne weilt' er eine Stunde,
Nickte, und verlor sich sacht
In den See, Zum stillen Grunde
Taucht' er heim um Mitternacht.

Glücklich ward die Vraut gepriesen,
Wenn er kam und ihr zum Tanz
Brachte von verborgnen Wiesen
Fremder Blumen einen Kranz.

Wohlgeruch durchquoll das Zimmer,
Schöner blühte dann die Braut,
Ward im gleichen Jugendschimmer
Viele Jahre noch geschaut.

Mutter ward sie guter Kinder,
Haus und Feld gedieh; bis spät
Sie der Tod, ein leiser, linder,
Ueberraschte beim Gebet.

Einst mit rauher Ungebühre
Sprach ihm Eines was zu leid;
Traurig schwieg er, und zur Thüre
Schwand der Saum von seinem Kleid.

Und sie sah'n vom Ufer nieder,
Riefen, klagten je und je;
Doch es kam der Geist nie wieder,
Blieb in seinem tiefen See.

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