Weib und Kind

Buch: Gedichte - Zweites Buch
Sammlung: Gestalten

Ein schwüler Sommerabend war's, ein trüber,
Ich ging fußwandernd im Gebirg' allein,
Und ich bedachte mir im Dämmerschein
Was mir noch kommen soll, was schon vorüber.

Kein Windhauch zog, die ernsten Thale ruhten,
Und wunderbar war mir das Fernste nah;
Der Tannwald stand ein fester Bürge da,
Daß sich noch alles wenden wird zum Guten.

Mir kam ein armes Bauernweib entgegen:
"Gelobt sey Jesus Christ!" sprach sie zu mir:
"In Ewigkeit!" so dankt' ich freundlich ihr;
Es ist der beste Gruß auf dunklen Wegen.

Ihr folgt ein kleines Mägdlein, halb erschrocken,
Als sie mich sah und ich die Hand ihr bot;
Sie mühte sich, mit einem Bissen Brot
Ein Zögernd Kälblein mit sich heim zu locken.

"Kumm, Kalberl; kumm!"* so rief das Kind dem Thiere;
Das klang so innig, lieblich und vertraut,
Daß ich der Unschuld heimathlichen Laut
Aus meinem Herzen nimmermehr verliere.

Lang blickt' ich ihnen nach, bis sie verschwunden.
Und daß ein Leben schön und glücklich nur,
Wenn es sich schmiegt an Gott und die Natur,
Hab' ich auf jenem Berge tief empfunden.

(*österreichische Mundart)

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