Die naechtliche Fahrt

Buch: Gedichte - Zweites Buch
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Zu öd und traurig selbst den Haidewinden
Sind diese winterlichen Einsamkeiten,
Nur Schnee und Schnee ringsaus in alle Weiten,
Nur stiller, keuscher, kalter Tod Zu finden.

Hier ist's umsonst, nach frohem Ton zu lauschen,
Singvögel sind geflohn von diesem Grabe,
Den Schnabel in die Federn hüllt der Rabe,
Und eingefroren ist der Bäche Rauschen.

Sieht man den Wald so tief in Tod versunken,
Will man's nicht glauben, daß er jemals wieder
Aufgrünt im Lenz, daß je hier seine Lieder
Ein Vogel singt, vom Frühlingshauche trunken.

Es glänzt der Eichenwald in Eisesklammern:
Jetzt Wölfe heulen am verschneiten Grunde,
Wie Bettler, hungerwach, in nächt'ger Stunde
Am Grabe eines milden Königs jammern.

Dort fährt ein Schlitten auf der blanken Wüste,
Der Kutscher treibt die ausgestreckten Pferde,
Als ob mit seinem Fuhrwerk er die Erde
Vor Sonnenaufgang noch umrennen müßte.

Drei Hengste sind's, rasch wie des Nordens Lüfte,
Ein jeder trägt das werthe Probezeichen
Der Schnelligkeit im rüstigen Entweichen,
Die Narbe des Wolfsbisses an der Hüfte.

Ein Glöcklein trägt das Mittelroß der Gabel,
Zum Glöcklein tanzend fliehn vorbei die Bäume
Am Schlitten, trüb, wie schnellvergeßne Träume,
Der Wald entflieht wie eine bleiche Fabel.

Die schnellen Renner sind mit Eis behängen,
Das klirrend an den schwarzen Mähnen zittert,
Der Rosse Rücken ist mit Reif umgittert:
Der Tod will sie mit kaltem Netze fangen.

Gekauert sitzt, gehüllt vom Bärenkragen,
Der Wojewod im Schlittenkorbgeflechte
Still hinter seinem pelzverhüllten Knechte,
Der manchmal pfeift, die Pferde anzujagen.

Dem Schlitten folgt in klarer Mondeshelle
Ein zweiter nach, mit gleichgeschwinden Rennern,
Befrachtet auch mit zwei verhüllten Männern,
Und auf der Haide klingelt seine Schelle.

Die Nacht ist grimmig kalt; o Wandrer, meide
Den Schlaf; hörst du das Glöcklein nicht mehr schlagen.
So wird's vom Rosse dir vorangetragen
Dein wandernd Sterbeglöcklein auf der Haide.

Der Bäume Leben floh zum Grund hinunter;
Gib, Wandrer, acht, daß nicht auch deine Seele
Zu ihrem Grunde sich hinunterstehle,
Wenn du einnickest; Wandrer, halt dich munter!

Bist du ein Jäger, denke an ein Wildern;
Hast du ein Lieb, denk' an ihr süßes Lager;
Wenn Haß dir wurmt, der scharfe Herzensnager,
So halt dich wach und warm mit Rachebildern! -

Ha! Wölfe! seht, ein ganzes Rudel Tode!
Sie folgen, eine nachgeschleifte Kette,
Die Todesangst, der Hunger rennen Wette,
Und ohne Furcht bleibt nur der Wojewode.

Es kracht der Schnee, schnell sind die grauen Horden,
Doch schneller sind, Gottlob! die braven Hengste,
Die Rappen sind im Drang der Todesängste
Plötzlich wie junge Raben flügg geworden.

So fliehn sie weite Strecken, angstgetrieben;
Die Männer schießen schreckend die Gewehre
Nom Schlittenborde nach dem grausen Heere,
Bis nach und nach es ist zurückgeblieben.

Nun halten sie; die Pferde dampfend schwitzen
Und schnauben aus den Nüstern sich das Bangen:
Drei treten in die Schenke und verlangen
'nen Becher Wein, doch bleibt der Woiwod sitzen.

Da springt der Wirth, ein Jude, an den Schlitten
Und macht dem Gaste tiefe Reverenzen:
"Darf ich, Herr Wojewod, euch nicht kredenzen
Wein, Brod und einen feinen Bratenschnitten?"

Und mit Gelächter ruft der Kutscher drinnen:
"Dem schmeckt kein > Braten und kein Gläschen Rother,
Der ißt nicht, trinkt nicht, friert nicht, ist ein Todter,
An dem, Hebräer, wirst du nichts gewinnen!

"Im Zweikampf ist der gute Herr geblieben,
Sein Erzfeind, Russe, hat ihn todtgeschossen:
Ich fahre meinen schweigenden Genossen
Heim in die Gruft vorausgegangner Lieben.

"Bald aber hätt' ich ihm die Treu zerrissen,
Denn wären uns die Wölfe näher kommen,
So hätt' ich ihn nicht weiter mitgenommen,
Ich hätt' ihn, uns zu retten, hingeschmissen.

"Ich meine immer noch sein Blut zu schauen,
Wie's rauchend in den weißen Schnee gequollen,
Wie sich's nicht bergen konnte in den Schollen:
Das Bluteis darf im Frühling erst zerthauen!"

Sie fahren weiter mit verhängtem Zügel,
Fort über Brücken, Zäune, Teich' und Bäche,
Denn alles hat der Schnee gefüllt zur Fläche,
Und gleichgefegt der Wind mit seinem Flügel.

Nur manchmal blickt der Kutscher nach dem Todten;
Noch sitzt er da, das Haupt vorunterneigend,
Wie er gesessen, unbekümmert, schweigend,
Als hinterher die grimmen Wölfe drohten.

Das Mordblei, das den Wojewoden fällte
Und stecken blieb in seinem Eingeweide;
Der Schnee, der rings bedeckt Podoliens Haide;
Sein Herz - find alle drei von gleicher Kälte.

Der Wind erwacht und rasselt an der Fohre,
Das Glöcklein schallt, es dunkelt vor den Rossen,
Am Himmel zieht der bleiche Mond verdrossen
Den Wolkenmantel zu, als ob er fröre. -

Das mahnt uns an die Träume eines CZaren,
Der gerne möcht' in winternächt'gen Stunden,
Das Ruhmesglöcklein an sein Roß gebunden,
Das todte Polen durch die Haide fahren.

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