Der ewige Jude

Buch: Gedichte - Zweites Buch
Sammlung: Gestalten

Ich irrt' allein in einem öden Thale,
Von Klippenkalk umstarrt, von dunklen Föhren;
Es war kein Laut im Hochgebirg zu hören,
Stumm rang die Nacht mit letztem Sonnenstrahle.

Für ernste Wandrer ließ die Urwelt liegen
In diesem Thal versteinert ihre Träume;
Dort sah ich einen Geier durch die Bäume
Wie einen stillen Todsgedanken fliegen.

Nun kam ein Regen; daß der Himmel weine,
Erkennt das Herz an kahlen Felsenriffen,
Wo es vom Regen traurig wird ergriffen,
Daß er nicht wecken kann die todten Steine.

So ruft umsonst ein Strom von heißen Thränen
Den Trümmern ausgetobter Leidenschaften:
Wach' auf, blüh' auf aus deinen Todeshaften,
O Liebe! süßes Quälen! Hoffen! Sehnen!

Das Erz nur kann ich aus den Schlacken zwingen,
Mit Lebensgluten es dem Tod entlocken
Und gießen zu lebend'gen Liedesglocken,
Die, wehmuthweckend, durch die Welt erklingen.

"Dahin, dahin des Lebens helle Stunden!
Mir nachtet's, Thal, wie dir! ich wollt' ich wäre
Versunken, eh' mein Licht versank, im Meere!"
Ich rief's und ließ aufbluten meine Wunden.

Und heft'ger regnet's; von erwachten Winden
Ward Wolk' an Wolke brausend Zugetragen;
Wie zu des Herzens jüngsten Thränen, Klagen
Sich alter Schmerzen ferne Quellen finden. -

Stets dunkler ward's im Thale, lauter immer,
Sturzbäche durch die Felsengassen sprangen,
Es wimmerten die Winde, schluchtverfangen,
Und Donner schlug; - den Geier sah ich nimmer.

Wo war der Geier? wo der Todsgedanke?
Der Geier muß in einer Ritze ducken,
So lang die Klagen das Gebirg durchzucken;
Sein Leben fühlt und liebt im Schmerz der Kranke.

Nur Einem ist, ob schweigend oder stürmend,
Die Welt stets einerlei und stets zuwider,
Denn rastlos muß er wandern auf und nieder,
jahrtausendhoch die Todeswünsche thürmend.

Schon sucht' ich in den Bergeseinsamkeiten
Ein Lager mir, da kam ein Rauch geflogen,
Als wär' er gastlich nach mir ausgezogen,
Zur waldversteckten Hütte mich zu leiten.

Ich späht' umher, bald sah ich Kerzenschimmer
Durch dunkle Tannen, hörte Menschenworte;
Bevor ich einschritt in die offne Pforte,
Blickt' ich durch's Fenster in das niedre Zimmer.

Ein Greis, bemüht, die braunen Rückenhaare
Zu einem Gemsbart waidgerecht zu schlichten,
Sah schweigend und wie sinnend auf Geschichten
Und Jägerstreiche seiner rüst'gen Jahre.

Hoch stand sein Sohn, von: Nuß die Büchse Putzend,
Mit Schultern, die den Hirsch bergüber trügen,
Mit scharfen und entschlußgewohnten Zügen,
Wie sie der Raubschütz hat, dem Tode trutzend.

Die Hausfrau stand am Herd, die Mahlzeit kochend,
Rief durch die Thür herein, daß sie bald fertig,
Denn ihre Kinder saßen schon gewärtig,
Mit froher Ungeduld am Tische pochend.

Und ich empfand, als ich das Bild betrachtet:
Ein Herz, das Lieb' und Sorge dicht umhegen,
Ist glücklich- und ein Herz auf stolzen Wegen,
Auf Irrfahrt großer Wünsche - herb verschmachtet.

Der Hütte Noth manch' bunter Schmuck verhüllte;
Viel Heil'genbilder, Braut- und Taufgeschenke
Verzierten blank die Wände rings und Schränke,
Trinkgläser auch, vielleicht noch nie gefüllte.

Schön ist die Armuth, wenn sie, keusch verhangen,
Im rohen Sturm als eine Jungfrau schreitet,
Die Hüllen sorglich um die Blößen breitet,
Den Feind besiegend mit verschämten Wangen. -

Eintrat ich in die Stube, froh willkommen.
Dem Wildrer gab ich ehrlich meine Rechte,
Ihn nicht zu liefern an des Forstes Mächte,
Und ward zu Herberg herzlich aufgenommen.

Die Wirthe suchten ihren Gast zu ehren
Mit derber Kost, mit derben Jägerstücken,
Wie sie die Wächter und das Wild berücken,
Von Gemsen, wie sie fielen, Luchsen, Bären.

Der Schütze wies und pries mir seine Stutze,
Mit welchen schon sein Vater einst, der Alte,
Als frischer Jung' in diesen Bergen knallte:
Mir wies die Frau, was sie besaß an Putze.

Sie ließ mich, kindlich, bunten Flitter schauen;
Doch mehr als Ringlein, Perlenschnur und Spangen,
Hielt eine Münze meinen Blick gefangen
Und traf mein Herz mit wunderlichem Grauen.

Die Münze, bleiern, sah so traurig blinkend,
Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge
War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,
Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend.

Nie war ein Bild, gemalt vom heil'gen Schmerze,
In all den reichen kunstgeschmückten Hallen
So klagend an die Seele mir gefallen,
Wie dieses Bild, geprägt im grauen Erze.

Nun schien der Mond berein; die Kinder schliefen,
Der Alte murmelte den Abendsegen,
Dann ward es still; vorbei war Sturm und Regen,
Nur draußen hört' ich noch die Tannen triefen.

Und als ich starrt' auf's mondbestrahlte Bildniß,
Ward mir, ob sich's in meiner Hand belebe,
Als ob sein Geist mit mir von hinnen schwebe,
Ich war hinausentrückt zur Felsenwildniß.

Und Alpenlerchen hört' ich jubelnd schmettern,
Und Adler sah ich steigen in die Lüfte,
Die scheue Gemse springen über Klüfte,
Den Jäger nach im Morgenrothe klettern.

Die Büchse knallt, die Gemse stürzt vom Felsen,
Sie hört nicht mehr das Echo donnernd wandern
Von Berg zu Berg; doch hören es die andern
Und lauschen schreckhaft mit gespannten Hälsen.

Des todten Thieres zitternde Genossen
Stehn still, so lang die Widerhalle dauern,
Sie hören Schüsse rings von allen Mauern,
Wohin sie flüchten sollen, unentschlossen:

Indeß in seiner Rechten droht die Keule,
Reißt seine Linke von der Brust die Hülle;
"Schieß her!" ruft sein toddürstendes Gebrülle,
"Sonst stirb!" ruft sein todlechzendes Geheule.

Erstaunen und Entsetzen überschleiern
Des Jägers Blicke: doch die Büchse faßt er,
Und schüttet Pulver, drückt darauf das Pflaster
Und in den Lauf treibt er die Kugel, bleiern.

Er zielt und schießt auf's Herz dem wilden Recken;
Doch wie geprallt an eine Felsenscheibe,
So klatscht die Kugel ab von seinem Leibe,
Den Jägersmann zu Boden wirft der Schrecken.

An ihm vorüber rauscht der grause Alte,
Den's weiter treibt, umsonst den Tod zu suchen;
Der Schütze hört noch lang sein fernes Fluchen,
Bis ihm der letzte Laut im Wind verhallte.

Der ew'ge Jude rief: "Nur ich von Allen
"Kann unglückselig nie die Ruhe finden!
"O könnt' ich sterben mit den Morgenwinden,
"Und wie mein Wehruf im Gebirg verhallen!"

"Ich bin mein Schatten, der mich überdauert!
"Mein Wiederhall, am Felsen festgenagelt!
"Ein Halm, auf den es ewig niederhagelt!
"Ein flücht'ger Lichtstrahl, in den Stein gemauert!

"Weh mir! ich kann des Wilds mich nicht entschlagen,
"Wie er um kurze Rast so flehend blickte,
"Der Todesmüde, Schmach- und Schmerzgeknickte,
"Muß ewig ihn von meiner Hütte jagen!"

Und als es stille war im Felsenschlunde,
Erhob sich scheu und schlich zur grausen Stelle,
Wo seine Kugel traf, der Waidgeselle,
Und nahm sein plattgequetschtes Blei vom Grunde.

Und zitternd kam er auf mich zugeschritten
Und reichte mir das Bei, ich nahm's mit Grauen:
Zur Münze war's geprägt, auf der zu schauen
Des ew'gen Juden Herzqual eingeschnitten.

Die Münze, bleiern, sah so traurig blinkend,
Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge
War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,
Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend. -

Da weckten meine wirthlichen Genossen
Mit lautem Ruf zurück mich in das Zinnner;
Als ich erwacht, hielt meine Hand noch immer
Das Zauberbild, vom Mondenlicht umflossen.
(1836)

Weitere Werke von Nicolaus Lenau bei Amazon