Anna - Nach einer schwedischen Sage IV

Buch: Größere lyrisch-epische Dichtungen
Sammlung: Anna

Sieben Jahre sind verflossen
Spurlos, wie die Flut in's Meer,
Seit der Ehbund ward geschlossen,
Heute ist die Iahreskehr.

Anna wird im Land besungen
Als die allerschönste Frau;
Sie empfängt die Huldigungen,
Wie die Rose ihren Thau.

Keines von den süßen Liedern
Mag ein Blick gerührter Huld,
Mag ein süßes Wort erwiedern;
Anna trägt nur eine Schuld.

Oftmals bei geschlossnem Riegel
Ist sie unbelauscht allein,
Stürzt ihr äug' sich in den Spiegel,
Schwelgt in ihrem Widerschein.

Gerne mag sich Anna zieren,
Reich geschmückt am Spiegel stehn'.
Bis sie fühlt geheimes Frieren,
Wenn sie lang hineingesehn.

Klirrt und rauscht dann Gold und Seide,
Dünkt ihr oft, es werde wach
Jener bange Laut der Haide,
Der manchmal ihr wehte nach.

Anna ist so schön geblieben,
Wie als Braut einst am Altar,
Erich trauert, daß sein Lieben
Und sein Leben unfruchtbar.

Schweigend reiten sie zum Schlosse
Heim von einer Kindestauf';
Als ihr leuchtender Genosse
Zieht der volle Mond herauf.

Erich reitet in Gedanken
Hinter seinem Weibe fort,
Sieht des Waldes Schatten wanken,
Unstet wechselnd hier und dort.

Als sie heiter traben beide,
In Gedanken, ohne Laut,
Als sie kommen auf die Haide,
Wo sie einst geirrt als Braut:

Sieht er ihres Pferdes Schatten
Um die Reiterin verkürzt,
Und das Bild erschreckt den Gatten,
Ob sein Weib vom Roß gestürzt?

Nein, sie sitzt! "Gott sei uns gnädig!"
Ruft er aus - "Verfluchtes Weib!
Nur dein Roß, als ging es ledig,
Keinen Schatten wirft dein Leib!"

Aber Anna treibt den Zelter
Zitternd vor dem Mondenstrahl.
Vor dem himmlischen Vergelter,
Und dem zürnenden Gemahl.

Jetzo stürzt sie bang zu Füßen
Ihrem Herrn im Schlafgemach,
Sie bekennt in Thränengüssen,
Flehend, was sie einst verbrach.

Schaudernd hört er ihre Kunde;
Süßer sonst als Blumenduft,
Trifft der Hauch aus ihrem Munde
Ietzo ihn wie Grabesluft.

Erich schaut im Mondenlichte,
Leuchtend durch den Fensterspalt,
Ihr frisch blühend Angesichte,
Ihre bräutliche Gestalt,

"UnWeib!" ruft er mit Entsetzen -
"Wäre deine Schönheit hin!
Mit den unterschlagnen Schätzen,
Gräßliche Betrügerin!"

"Eile fort aus meiner Kammer!
Eile fort aus meinem Haus!
Fahre hin in Noth und Jammer!
Fluchend stoß' ich dich hinaus!"

"Dir so wenig wird vergeben,
Wie aus dieser Diele je
Frische Rosen sich erheben!
Weh, verfluchtes Weib, dir, weh!"

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