Anna - Nach einer schwedischen Sage II

Buch: Größere lyrisch-epische Dichtungen
Sammlung: Anna

Vor dem Fenster steht der Ritter,
Singt bei Nacht mit süßem Laut,
Schlägt dazu die helle Zitier:
"Willst du heißen meine Braut?"

"Hab' ein Schloß und finstre Wälder,
Berge hab' ich, reich an Erz,
Muntre Heerden, goldne Felder,
Und nach dir ein krankes Herz!"

"Schmücke dir mit Edelsteinen,
Gold und Perlen Hals und Hand,
Liebchen, schmücke dich mit meinen
Narben aus dem heil'gen Land."

"Morgen wird die Sonne steigen:
Strahlt herauf die Sonne klar,
Soll sie meinen Wuchs dir zeigen,
Und dir leuchten zum Altar."

"Hier an diesem Rosensprosse
Häng' ich dir mein Ringlein auf!"
Sang's und schwang sich auf zu Rosse,
Sprengt davon im ftücht'gen Lauf. -

"Willst du meinen Finger tauschen,
Ringlein, mit dem Rosenreis?"
Anna nimmt's, die Hecken rauschen,
Und im Dickicht naht es leis.

Schwarz verhangen Mond und Sterne,
Durch den Blüthenstrauch herein
Wiegt sich eine Blendlaterne,
Wie Iohanniskäferschein.

Freundlich nickend, bleich verdüstert,
Steht das Mütterlein vom See,
Weint verstohlen, und sie flüstert:
"Schöne Jungfrau, weh dir, weh!"

"Von den Rosen hier empfangen
Hast du's Ninglein, und es droht
Bald den Rosen deiner Wangen
Dieses Ringlein bleichen Tod."

"Folge mir!" - Sie schreiten beide
Weite Strecken stumm und sacht
Ueber eine öde Haide
In der stummen, dunklen Nacht.

Und an einer Windmühl' stille
Hält das alte Zauberweib:
"Bräutchen, ist's dein fester Wille,
Daß unfruchtbar sei dein Leib?"

"Willst?" - ""Ich will es!"" und sie schleichen
Jetzt die Mühlentrepp' empor,
Feiernd stehen die Flügelspeichen,
Taghell tritt der Mond hervor.

Braune Weizenkörner sieben
Aus dem Sack die Alte greift,
Und das Ninglein ihres Lieben
Sie der Braut vom Finger streift.

"Wenn nicht meine Zauber wären,
- Spricht das Mütterlein vom See -
Würdest Sieben du gebären
In der schmerzenreichen Eh."

Durch das Ringlein wirft hinunter
Sie ein Korn zum runden Stein:
Plötzlich wird die Mühle munter,
Brausend fällt ein Windstoß drein;

Und die Mühle mahlt im Winde,
Schaudernd hört die junge Braut
Leise, wie von einem Kinde,
Wimmern einen kurzen Laut.

Drauf todtstill in alle Weite,
Anna hört ihr Herz allein,
Und die Alte wirft das zweite
Weizenkorn hinab Zum Stein:

Wieder mahlt die Mühl' im Winde,
Schmerzend hört die junge Braut
Leise, wie von einem Kinde,
Wimmern einen kurzen Laut.

Alte wirft das dritte, vierte,
Fünfte Korn, noch zwei hinein:
Iedmal sich der Windstoß rührte,
Und zerreibend lief der Stein.

Siebenmal hat es gewimmert,
Hat ein Weh durchzuckt die Maid.
Wieder Ruh - der Vollmond schimmert
Nieder auf die stille Haid.

Mütterlein jetzt freudig kichert,
Steckt das Ringlein ihr zurück:
"Nie ergreift dich, bist gesichert,
Jammervolles Mutterglück!"

Heim, zuvor den Morgenstunden,
Eilt nun Anna, fürcht't sich schier;
Schüchtern blickt sie um - verschwunden
Ist die Alte hinter ihr.

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