Die schoene Sennin

Buch: Gedichte - Erstes Buch
Sammlung: Reiseblätter I

1.

Du Alftenkind, wie mild und klar
Strahlt mir dein blaues Augenpaar!
Wohl ist in diesen Himmelsnähen
Gin stilles Wunder einst geschehen.
In deiner Lämmer frohem Kreise
Hinknietest du, zu beten leise,
In heller Frühlingsmorgenstunde;
Mit Kindesblicken, innigfrommen,
War all dein Herz zu Gott geklommen:
Da sandte, freundlich dir begegnend,
Und deine fromme Seele segnend,
In's holde Auge dir zurück
Der Himmel einen warmen Blick,
Der sich vertieft in seinen Schimmer,
Geblieben ist, und scheidet nimmer.
O Sennin, sterblich! scheidet nimmer? -

2.

Als du warst, ein holdes Kind,
Wonniglich geschlafen ein,
Trug die Mutter leis und lind
Dich in jenen Blüthenhain.

Dort auf ihrem Schlummerbaum
Sangen Vöglein Abendsang,
Der in deinen Kindestraum
Sanft und lieblich schläfernd klang.

Und der Frühling nahte sich,
Grüßte dich mit lindem Hauch,
Freundlich segnend küht' er dich,
Neigend seinen Rosenstrauch.

Seinen goldnen Abendschein
Goß er dir auf's weiche Haar,
Auf die Lilienwangen dein
Legt' er leis' ein Rosenpaar.

Und der Mutter Augenlicht
Froh an deinem Schlummer hing,
Sah, wie dir am Angesicht
Still das Rosenpaar zerging.

Und des Frühlings Abendglanz
Wuchs am Haupt dir lang und voll,
Der im goldnen Lockentanz
Auf den Busett niederquoll.

Sennin, o wie reizend blüht
Deine Wange rosenroth,
Drauf noch immer freudig glüht
Jener süße Rosentod!

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