Auf ein Fass zu Oehringen

Buch: Gedichte - Erstes Buch
Sammlung: Reiseblätter I

Ich stand, der höchste, grünste Baum,
Vor Zeiten froh im Waldesraum.
Mir galt der Sonne erster Kuß,
Ich brachte, war sie schon geschieden,
Dem Wanderer zum Abendfrieden
Von ihr noch einen Purpurgruß.
Da sah mich einst der Küfer ragen,
Der kam und hat mich schnell erschlagen.
Ade! Ade! du grüner Hain!
Du Sonnenstrahl und Mondenschein!
Du Vogelsang und Wetterklang,
Der freudig mir zur Wurzel drang!
Die Waldeslust ist nun herum,
Ich wandre nach Elysium.
Ihr Bruderbäume folgt mir nach
In dieses himmlische Gemach:
O nehmt das Loos der Auserkornen
Von all den tausend Waldgebornen,
Das schöne Loos, das große Loos:
Tief in des Grundes kühlem Schooß
Gin Faß zu seyn, ein Faß zu seyn,
Nicht so ein still verlass'ner Schrein!
Ein Faß, dem lieben Wem ergeben,
Der Erde heil'ges Herzblut hüllend,
Ein Trunk das ganze lange Leben,
Den Zecher durch und durch erfüllend!
Komm, komm bewegter Erdengast,
Und halte hier vergnügte Rast.
Mach' dir das Herz im Weine flott,
Schenk ein! trink' aus! merkst du den Gott?
Braust dir der Geist durch's Innre hin,
Von dem ich selber trunken bin?
Er ist so feurig, süß und stark:
O schlürf ihn ein in's tiefste Mark! -
Nun Wandrer, wandre selig heiter,
Von Faß zu Faß forttrinkend, weiter!
Schon tauchen dir im Rosenlichte
Herauf gar liebliche Gesichte:
Manch theures längst Verlornes Gut,
Die Träum' aus deinen Jugendjahren,
Sie kommen dir auf Weinesflut
Jetzt frisch und froh herangefahren.
Schenk ein! -. du fühlst die alten Triebe
Zu kühner That hinaus! hinaus!
Du gibst den Kuß der ersten Liebe;
Schenk ein! du stehst im Vaterhaus.
Wohl dir! wohl dir! schon bist du trunken,
Und Gram und Sorgen all versunken:
Wir schützen dich, hier packt dich nickt
Ihr freches quälendes Gezücht,
Wir stehen Faß an Faß zusammen,
Wir lassen unsre Waffen flammen;
Und heimlich hinter unsern Bäuchen
Muß dir die Zeit vorüberschleichen.
Schenk ein, schenk ein, nur immer zu!
Und hat der Gott dich ganz durchflossen,
'Laß tragen dich von flinken Rossen
Nach dem Hesperien Friedrichsruh.
Dort schwanke unter grünen Bäumen
Mit deiner Last von Himmelsträumen,
Und lausche dort den Harmonieen,
Die durch den Zaubergarten fliehen.
Ein voller stürmischer Accord
Nimmt dich an seinen Geisterbord,
Irrt weit mit dir von hinnen, weit.
Hinaus in's Meer der Trunkenheit!

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