Der Unbestaendige

Buch: Gedichte - Erstes Buch
Sammlung: Vermischte Gedichte

Daß ich dieß und das beginne,
Heute grad und morgen quer,
Gegen das, was heut ich minne,
Morgen richte Spieß und Speer:

Sollte das so sehr dich wundern,
Du mein consequenter Mann?
Keiner von den Erdenplundern
Lange mich behalten kann!

Heute bin ich zum Exempel
Ganz ein Metaphysikus;
Morgen schallt in Themis Tempel
Mein unstäter Menschenfutz.

Heute steh' ich Nachts im Giebel,
Suche Jungfrau, Stier und Bär;
Morgen les' ich in der Bibel;
Uebermorgen im Homer.

Blickt mein Geist im Wissensdrange
Durch ein Fenster in die Welt;
O dann paßt er auch nicht lange,
Sieht er drinnen nichts erhellt;

Und er guckt zu einem andern
In die finstre Welt hinein!
Muß von hier auch weiter wandern,
Nirgends auch nur Lampenschein!

Freilich, wenn du unabwendig
Starrest in dasselbe Loch,
Wird's vor deinem Blick lebendig,
Dein Ausharren lohnt sich doch;

Denn die Augen dir erlahmen,
Und Gespenster malen sich
In des Fensters leeren Rahmen:
Und man nennt den Weisen dich.

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