Ein Herbstabend

Buch: Gedichte - Erstes Buch
Sammlung: Reiseblätter II

Es weht der Wind so kühl, entlaubend rings die Aeste,
Er ruft zum Wald hinein: Gut' Nacht, ihr Erdengäste!

Am Hügel strahlt der Mond, die grauen Wolken jagen
Schnell über's Thal hinaus, wo alle Wälder klagen.

Das Bächlein schleicht hinab, von abgestorbnen Hainen
Trägt es die Blätter fort mit halbersticktem Weinen.

Nie hört' ich einen Quell so leise traurig klingend,
Die Weid' am Ufer steht, die weichen Aeste ringend.

Und eines todten Freunds gedenkend lausch' ich nieder
Zum Quell, der murmelt stets: wir sehen uns nicht wieder!

Horch! plötzlich in der Luft ein schnatterndes Geftlauder:
Wildgänse auf der Flucht vor winterlichem Schauder.

Sie jagen hinter sich den Herbst mit raschen Flügeln,
Sie lassen scheu zurück das Sterben auf den Hügeln.

Wo sind sie? ha! wie schnell sie dort vorüberstreichen
Am hellen Mond, und jetzt unsichtbar schon entweichen:

Ihr ahnungsvoller Laut läßt sich noch immer hören,
Dem Wandrer in der Brust die Wehmuth aufzustören.

Südwärts die Vögel ziehn mit eiligem Geschwätze:
Doch auch den Süden deckt der Tod mit seinem Netze.

Natur das Gw'ge schaut in unruhvollen Träumen,
Fährt auf und will entfliehn den todverfallnen Räumen.

Der abgeriss'ne Ruf, womit Zugvögel schweben,
Ist Aufschrei wirren Traums von einem ew'gen Leben.

Ich höre sie nicht mehr, schon sind sie weit von hinnen;
Die Zweifel in der Brust den Nachtgesang beginnen:

Ist 's Erdenleben Schein? - ist es die umgekehrte
Fata Morgana nur, des Ew'gen Spielgefährte?

Warum denn aber wird dem Erdenleben bange,
Wenn es ein Schein nur ist, vor seinem Untergange?

Ist solche Büngniß nur von dem, was wird bestehen,
Ein Wiederglanz, daß auch sein Bild nicht will vergehen?

Dieß Bangen auch nur Schein? - so schwärmen die Gedanken,
Wie dort durch's öde Thal die Herbstesnebel schwanken.

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