Die Rose der Erinnerung

Buch: Gedichte - Erstes Buch
Sammlung: Reiseblätter I

Als treulos ich das theure Land verließ,
Wo mir, wie nirgend sonst, die Freude blühte,
Mich selbst verstoßend aus dem Paradies
Voll Freundesliebe, holder Frauengüte;

Und als ich stand zum ernsten Scheidegruß
An meiner Freuden maiengrünem Saume,
Als mir im Auge quoll der Thränenguß,
Wie warmer Regen nach dem Frühlingstraume:

Da bog sich mir zum Lebewohl herab
Der reichsten einer von den Blüthenzweigen,
Der freundlich mir noch eine Rose gab;
Mein Herz verstand sein liebevolles Schweigen.

"Nicht in den Staub, o Freund, hier weine hin,
"Hier auf die weichen Blätter dieser Rose!"
Das war der stummen Gabe milder Sinn;
Und schmerzlich rasch folgt' ich dem Wanderloose.

In fremde Welten fuhr mich der Pilot,
Vom theuren Lande trennen mich nun Meere;
Und wie mir einst das Lebewohl gebot,
Netz' ich die Blume mit getreuer Zähre.

Der Rose inniglicher Duft entschwand,
Es ging die frische Farbenglut verbleichen;
Sie ruht so blaß und starr in meiner Hand,
Des Unverweslichen ein welkes Zeichen.

Des Unverweslichen? - sie rauscht so bang,
Will meine Hand die Rose wieder wecken;
Als wär' es ein prophetisch trüber Klang,
Hör' ich den Laut mit heimlichem Erschrecken.

O Rose, der Erinnerung geweiht!
Mir dünket deiner welken Blätter Rauschen
Ein leises Schreiten der Vergänglichkeit,
Hörbar geworden plötzlich meinem Lauschen!

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