Am Sarge eines Schwermuethigen

Buch: Gedichte - Zweites Buch
Sammlung: Vermischte Gedichte II - Neue Folge

"Am Sarge eines Schwermüthigen, der sich selbst den Tod gegeben ...
Naturgeister singen:

Er ist von uns gewichen,
Er ist so früh verblichen,
Laßt uns in tiefste Schatten
Dieß heiße Herz bestatten!

Wir singen manche Weisen,
Wenn wir die Erd' umkreisen,
Die bängste aller bangen
Hat lauschend er empfangen.

Das Lied, das dumpf wir klagen,
Wenn wir den Wildbach jagen,
Und wenn wir Blitze flechten
In schwülen Sommernächten.

Im Rufe tönt's der Unken,
Von dunkler Schwermuth trunken,
Und in den Wiederhallen
Bewegter Nachtigallen.

"Fahr wohl!" nachruft es leise
Dem Frühling auf die Reise;
Wir hauchen es gelinde
Durch's Haar dem todten Kinde.

Die Röslein all' zerpflücken
Und zu die Aeuglein drücken
Dem Lenz wir und dem Kleinen,
Und niemand sieht uns weinen.

Wenn Wolf' im Eise suchen
Ihr Leben und verfluchen,
Und wenn das Käuzlein grelle
Aufstöhnt in seiner Zelle,

Wenn sich die Meereswellen
Aufthürmen und zerschellen,
Im Sturm die Möwen zagen,
Erhebt das Lied sein Klagen.

O Möwenschrei und Schwanken!
O menschliche Gedanken
Vom Leben ew'ger Dauer,
Hört ihr des Liedes Trauer?! -

Doch sind die Stimmen alle
Nur abgebrochne Halle,
Ein ahnendes Besinnen
Kaum auf des Lieds Beginnen.

Bei seinem vollen Klänge
Ach, würde uns Zu bange,
Wir stünden schmerzlich träumend,
Das Erdenwerk versäumend.

Dies Herz hat es vernommen,
Und sang es fort beklommen;
Dies Herz hat ausgesungen
Das Lied, und ist zersprungen.

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